Bilder und Erinnerungen des Hamburger Fotografen Jörg Böthling
in: DAS ARCHIV, Nr. 4/2014
Im Februar 1988 ging Jörg Böthling in Hamburg von Bord der „MS Berlin“, um in der Hansestadt ein neues Leben zu beginnen. Es war ein Handelsschiff der ostdeutschen Deutfracht Seereederei (DSR), das er mit unauffällig leichtem Gepäck verlassen hatte für den „kurzen Landgang“. Dass er nicht wiederkam, das war keine Arbeitsverweigerung, kein „Einfach-den-Job-Hinschmeißen“ − das war Republikflucht. Mitgenommen hatte der 25-jährige Matrose kaum mehr als das, was er am Leib trug. Eine kleine Tasche, darin seine Schwarz Weiß-Negative mit Bildern, die in den Jahren zuvor entstanden waren, als er auf Handelsschiffen Westafrika, Asien und dort insbesondere Indien und Bombay kennengelernt hatte. Bombay − seit 1996 offiziell umbenannt in Mumbai −, so hieß die Stadt, als er 1985 erstmals dort war. Die Engländer, die 1661 die Macht übernahmen, hatten das zuvor portugiesische Bom Bahia, „die gute Bucht“, so genannt.
Dass er eines Tages reisen würde, das war dem gebürtigen Wismarer gewissermaßen in die Wiege gelegt, denn auch sein Vater fuhr zur See; deshalb war ihm schon in der Schule klar, dass er eine maritime Laufbahn einschlagen wollte. Er machte Abitur und wurde Matrose an Deck, war auf Schiffen unterwegs und sah viel von der Welt.
Vielleicht war es Neugier, vielleicht Schicksal, dass er zwei Jahre zuvor schon einmal ein Schiff verlassen hatte und sein Leben eine Wende nahm. 1986 war das, am Osterwochenende, als sie während einer Indienfahrt mit dem Handelsschiff „MS Schwerin“ in den Indira Docks in Bombay lagen. Er wollte raus, nur ein kleiner Landausflug mit einem Kollegen, aber da fiel sein Blick auf ein indisches Marineschiff im Trockendock, an dem Hunderte Inder am Schiffsrumpf hämmerten und sich zu schaffen machten. Klar wusste er, Fotografieren war in indischen Häfen verboten, aber das Motiv war verlockend, die Kamera hatte er dabei – und da war auch schon der Polizeijeep und hielt sie an. Der Vorwurf lautete „Verdacht auf Spionage“. Das brachte ihnen zunächst zwei Tage in der Yellow-Gate-Polizeistation am Hafen ein, bis die zwei Matrosen gegen Kaution entlassen wurden und sich wieder frei bewegen durften – in Bombay, und nur in Bombay. (…)