Im Turm der unbegrenzten Möglichkeiten

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Vorstand Jürgen Gerdes ist 30 Jahre bei der Post
in: DAS ARCHIV, Nr. 3/2014

Nicht auszumalen, was aus Jürgen Gerdes hätte werden können. Aber zum Fußball-Profi hat es nicht ganz gereicht, und diese Karriere wäre ja auch schon vorbei. Seine Laufbahn bei der Post dagegen ist wohl noch nicht auf dem Höhepunkt: Jürgen Gerdes ist 50, und er hat noch einiges vor. Seine Eltern, deren Rat er wenigstens zweimal im Leben gefolgt ist, dürften zufrieden sein mit ihrem Sohn, der eigentlich einst vor allem eines nicht wollte: zur Post.

Auf Wunsch der Mutter bewarb er sich trotzdem um einen Ausbildungsplatz bei der Postfachschule in Dieburg. Vergeblich die Hoffnung, sie würden ihn nicht nehmen, weil sich ja mehr als tausend andere um die knapp bemessenen Plätze rissen: Die Zusage kam prompt. Halbe Sachen sind nicht sein Ding, und so nahm er wissbegierig mit, was es in den Monaten in der Postführungskräfteschmiede zu lernen gab. Nach der Bundeswehr dann ein erstes Jahr bei der Post in Dortmund und schließlich das ersehnte BWL-Studium in Münster. Dort lehrten Heribert Meffert, der dem Bereich Marketing in Deutschland zu Renommee verholfen hatte, und Klaus Backhaus, ebenfalls ein Experte auf diesem Gebiet. In den Semesterferien verdiente Jürgen Gerdes Geld beim „gelben Riesen“, nach der Wende auch für einige Monate im Osten. Dort gab es Zulagen, aber auch hin und wieder Ärger, denn nicht alle DDR-Postler hatten ein offenes Ohr für die Ansagen junger Westkollegen. (…)

Vordenker mit Weitblick

Frank Appel ist seit 15 Jahren bei der Deutschen Post
in: DAS ARCHIV, Nr. 3/2015

Kaum ein journalistisches Metier – Sport ausgenommen – zeigt sich so begeistert von Listen und Rankings wie Wirtschaftsblätter. Das betrifft auch Unternehmensvorstände, zumal die Vorstandsvorsitzenden. Wer verdient wie viel, wer hat was und wie lange studiert, wer arbeitet mindestens oder mehr als 20 Stunden am Tag, wer konnte seine Medienpräsenz steigern? Das Ansehen und der Erfolg eines Unternehmens werde, so heißt es, „mehr und mehr vom öffentlichen Profil seiner Führungspersönlichkeiten bestimmt“. Wer ist wie groß, wer wie sportlich, wer kleidet sich modisch oder nicht? Gut aussehende Vorstände treiben angeblich den Aktienkurs ihres Unternehmens nach oben.

Frank Appel, seit 15 Jahren bei der Post, seit sieben Jahren als Vorstandsvorsitzender, wird als Chef des Logistik-Konzerns in den Medien oft gerankt: Er ist groß, verdient sehr gut und kleidet sich gediegen. Wer mag, kann rätseln, wie das Thema seiner Dissertation lautet: a) „Zwischen biederen Fugen und atonalen Ausschweifungen: Neue Musik an den Hochschulen für Musik der DDR in den 1960er-Jahren“ oder b) „Importance of the immunoglobulin-like domains and the fibronectin type III homologous repeats of the neural cell adhesion molecule L1 for neurite outgrowth, cell body adhesion and signal transduction“. Antwort b ist richtig, wie Harvard Business Manager herausgefunden hat. Eine fachliche Empfehlung für eine Postkarriere ist auch dieses Thema nicht, eher ein Hinweis, dass Appel auf der Spiegel-Liste der „Verständlichkeit der Rhetorik von Konzernchefs“ weiter hinten landen musste.

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